interview interview

mit Thomas Rabe



Herr Rabe, lassen Sie uns über die Transformation von Bertelsmann sprechen. Wie weit ist der Konzern hier inzwischen vorangekommen?

Sehr weit. Bertelsmann sind in den vergangenen Jahren große Fortschritte in allen Bereichen und auf allen Ebenen gelungen. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass wir inzwischen in der Lage sind, von einem durch Akquisitionen getriebenen Wachstum auf immer stärkeres organisches Wachstum einzuschwenken. Wir wachsen wieder nennenswert aus eigener Kraft.

Können Sie dies noch etwas näher erläutern?

Unsere Wachstumsgeschäfte erwirtschaften inzwischen mehr als ein Drittel unseres Gesamtumsatzes, 2011 war es gerade einmal ein Fünftel. Den Umsatzanteil strukturell rückläufiger Geschäfte haben wir dagegen in derselben Zeit von 16 Prozent auf 4 Prozent zurückgefahren. Dies trägt maßgeblich dazu bei, dass unser organisches Wachstum seit 2015 jedes Jahr sukzessive zulegt. Im vergangenen Jahr haben wir 2,7 Prozent erreicht, das mittelfristige Ziel sind 3,0 Prozent. Unsere Wachstumsplattformen – das sind insbesondere Fremantle, die Digitalaktivitäten von RTL Group und G+J, die Logistik- und Finanzdienstleistungsgeschäfte von Arvato, BMG und die Bertelsmann Education Group – werden hierbei weiterhin eine entscheidende Rolle spielen. 2018 haben sie ein organisches Wachstum von 10 Prozent erzielt.

Bertelsmann möchte darüber hinaus digitaler, internationaler und diversifizierter werden. Wie sieht es bei diesen Zielen aus?

Auch hier sind uns große Fortschritte gelungen, gerade was den Umsatzbeitrag unserer Digitalaktivitäten angeht. Unser Ziel ist es, mehr als 50 Prozent des Umsatzes digital zu erwirtschaften. 2018 lagen wir bei 49 Prozent. Dieses Ziel ist also so gut wie erreicht – und zwar früher als ursprünglich gedacht.

Unser Umsatzanteil außerhalb Europas lag im vergangenen Jahr bei 28 Prozent – eine deutliche Verbesserung gegenüber den 20 Prozent im Jahr 2011, auch weil wir vor allem in den USA massiv investieren. Dort möchten wir mittelfristig 30 Prozent unseres Umsatzes erwirtschaften und weitere 10 Prozent in anderen Weltregionen.

Was die Diversifikation angeht, haben wir in den vergangenen Jahren ganz neue Geschäftsfelder erschlossen, Bildung beispielsweise. Aber auch innerhalb der einzelnen Divisionen hat sich viel getan. Nehmen Sie Arvato: 2011 haben wir dort das Outsourcing ganzer Geschäftsprozesse und Druckdienstleistungen angeboten. Heute sind es Aktivitäten in den klar definierten Bereichen CRM, SCM, Financial Solutions und IT.

Welche Rolle spielt das Thema Technologie in der beschriebenen Transformation?

Eine immer wichtigere. Zwar ist Bertelsmann kein Tech-Unternehmen, dennoch ist der Einsatz von Technologielösungen für die Zukunft unserer Geschäfte essenziell, gerade in den Bereichen Cloud, Data und KI. Hier existieren vielfach bereits spannende Ansätze im Konzern, die wir noch stärker in die Breite tragen werden. Der Ausbau unserer Fähigkeiten in diesen Feldern ist eine Priorität in der nächsten Zeit. Dazu gehört auch, unsere Mitarbeiter mit der notwendigen Technologiekompetenz auszustatten. Dies geschieht beispielsweise über Kurse bei Udacity, einer Online-Weiterbildungsplattform für den Technologiebereich, an der wir beteiligt sind.

Wir haben allen Grund, auf unsere Stärken zu vertrauen.“

Ist der Aufbau von Technologie­kompetenz auch deshalb notwendig, weil die großen Tech-Plattformen vielfach Wettbewerber von Bertelsmann sind?

Tatsächlich erleben wir eine neue Dimension des Wettbewerbs mit den großen US-amerikanischen Tech-Plattformen wie Amazon, Facebook, Google oder Netflix. Doch wir haben allen Grund, auf unsere Stärken zu vertrauen, und klare strategische Antworten auf diese Herausforderung formuliert.

Wie lauten diese Antworten?

Erstens Investitionen in Premium-Inhalte – rund 6 Mrd. Euro pro Jahr. Zweitens die Garantie sicherer Werbeumfelder und großer Reichweiten, beides ist für Marken unerlässlich. Drittens der Ausbau eigener Digitalgeschäfte und digitaler Kompetenzen. Viertens die Etablierung strategischer Allianzen, intern und mit externen Partnern, wie der Ad Alliance, der Bertelsmann Content Alliance sowie der netID-Initiative. Fünftens, besonders wichtig, Kundenbeziehungen und Kooperationen mit den erwähnten Plattformen: Fremantle produziert Formate für Netflix, Arvato ist Dienstleister für nahezu alle großen Tech-Konzerne. Sechstens der Einsatz für mehr Wettbewerbsgleichheit – es bedarf eines modernen, fairen Regulierungsrahmens, der die Kreativindustrie nicht gegenüber den Tech-Plattformen benachteiligt. Und nicht zuletzt die Stärkung unserer Unternehmenskultur, insbesondere Kreativität und Unternehmertum.

Welche Bedeutung haben Kreativität und Unternehmertum für Bertelsmann?

Eine zentrale Bedeutung – sie sind der Kern unseres Unternehmens und seiner Kultur.

Vielfalt und Reichweite unseres Kreativangebots sind weltweit einzigartig.“

Können Sie das näher erläutern?

Kreativität steht im Zentrum unserer Wertschöpfung. Bewegtbilder, Bücher, Zeitschriften, Musik: Vielfalt und Reichweite unseres Kreativangebots sind weltweit einzigartig. Diese große Stärke unseres Hauses gilt es zu kultivieren. In Deutschland geschieht dies beispielsweise über die eben erwähnte Bertelsmann Content Alliance, durch die wir die Kompetenzen unserer Inhaltegeschäfte bündeln und Kreativen so über alle Mediengattungen hinweg neue Vermarktungsmöglichkeiten anbieten können. Auch in unseren Dienstleistungs- und Bildungsgeschäften ist Kreativität ein treibender Faktor.

Und Unternehmertum?

Ist der zweite Schlüssel unseres Erfolgs. Die lokale Führung unserer Geschäfte, die bei uns eine lange Tradition hat, ist in der digitalen, schnelllebigen Welt wichtiger denn je. Kreativität und Unternehmertum zusammen treiben uns an.

Wie kann man Kreativität und Unternehmertum fördern?

Grundlegend für beides ist ein entsprechendes Arbeitsumfeld. Dazu gehören Risiko­bereitschaft, Experimentierfreude, Durchhalte­vermögen und eine entsprechende Fehlerkultur.

Sie sprechen von Risikobereitschaft. Was waren für Sie mutige Entscheidungen in den vergangenen Jahren?

Im Medienbereich der frühzeitige Einstieg der RTL Group in die Bereiche Onlinevideo und Adtech sowie der Zusammenschluss von Penguin und Random House zur weltgrößten Publikumsverlagsgruppe. Außerdem der erfolgreiche Neustart unseres Musikgeschäfts: Nachdem wir 2008 beinahe all unsere Aktivitäten in diesem Bereich verkauft hatten, ist BMG mit seinem komplett auf die digitale Welt zugeschnittenen Geschäftsmodell heute wieder die Nummer vier im Markt.

Und in den anderen Bereichen?

Die Neuausrichtung von Arvato: Die aktuellen Geschäftszahlen belegen, wie profitabel alle vier Solution Groups inzwischen wachsen. 2018 war ein hervorragendes Jahr für Arvato; die Gruppe hat Potenzial für weiteres Wachstum. Außerdem unsere zu Jahresanfang vollzogene Partnerschaft mit der Saham Group im CRM-Bereich. Die Kooperation hat einen Marktführer geschaffen, der über gute Voraussetzungen verfügt, dieses Geschäft erfolgreich weiterzuentwickeln.

Meilenstein-Charakter hat für mich außerdem der Aufbau unseres Bildungsgeschäfts, das inzwischen eine dritte Geschäftssäule neben Medien und Dienstleistungen darstellt. Nicht zuletzt fallen unsere Fondsgeschäfte in diese Kategorie: Bertelsmann Asia Investments ist einer der erfolgreichsten Fonds seiner Art. Wir haben dieses Geschäft über Jahre hinweg aufgebaut, inzwischen ernten wir den Lohn.

All diese Schritte eint, dass wir hier nicht nur an Stellschrauben etablierter Modelle gedreht, sondern ganz neue Geschäftsfelder und Regionen erschlossen haben. Das ist Unternehmertum in bestem Sinne.

Das Motto dieses Geschäftsberichts lautet „Was uns antreibt“. Darum zum Schluss die Frage: Was treibt Sie ganz persönlich an?

Das Privileg, dieses ebenso kreative wie unternehmerische Haus führen und jeden Tag ein Stück weiterentwickeln zu dürfen. Als Marathonläufer weiß ich: Die Kilometer kurz vor der Ziellinie sind die herausforderndsten, aber auch die schönsten!